Ausführliches Awareness-Konzept
1. Was ist Awareness?
1.1 Was bedeutet Awareness?
Der Begriff «Awareness» stammt aus dem Englischen und bedeutet im weitesten Sinne «sich bewusst sein, sich informieren und für bestimmte Problematiken sensibilisiert sein». Menschen mit bestimmten Merkmalen werden in unserer Gesellschaft strukturell bevorzugt (privilegiert) oder benachteiligt (diskriminiert). Awareness richtet sich gegen alle Formen von Diskriminierung wie zum Beispiel gegen Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus und Klassismus. Ziel ist es, Strukturen der Ausgrenzung und Ungleichheit abzubauen und konsensbasiertes Handeln zu fördern. Dies kann innerhalb einer Veranstaltung nur dann gelingen, wenn alle Teilnehmenden eine Haltung und Praxis entwickeln, Diskriminierung entgegenzuwirken. Es soll eine sichere Atmosphäre geschaffen werden, in der sich alle wohlfühlen können und persönliche Grenzen respektiert werden.
1.2 Woraus ist Awareness entstanden?
Das Konzept der Awareness hat seine Wurzeln in den Bürgerrechtsbewegungen der 1950er und 1960er Jahre in den USA, die sich gegen die systematische Unterdrückung und Diskriminierung afroamerikanischer Bürger richteten. Menschen wie Martin Luther King Jr. machten auf Rassismus und soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam und forderten Gleichberechtigung.
In den 1960er und 1970er Jahren brachte die zweite Welle des Feminismus das Bewusstsein für Geschlechterungleichheiten und -diskriminierungen in den Vordergrund. Feministinnen wie Gloria Steinem kämpften für Frauenrechte, einschließlich gleicher Bezahlung und gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
In den 1980er und 1990er Jahren wuchs das Bewusstsein für die Diskriminierung von LGBTQA+ Personen, insbesondere durch die Aids-Krise und die Arbeit von Aktivistengruppen wie ACT UP, die auf Missstände im Umgang mit HIV/AIDS-Patienten aufmerksam machten. Der Begriff der Intersektionalität, geprägt von Kimberlé Crenshaw in den späten 1980er Jahren, beschrieb die Überschneidungen verschiedener Diskriminierungsformen und trug zu einem tieferen Verständnis bei, wie unterschiedliche Identitäten und soziale Positionen miteinander verwoben sind.
2004 wurde durch die Anlaufstellen gegen sexualisierte Gewalt Tauwetter und Wildwasser, und dem Weglaufhaus Villa Stöckle die erste Ausformulierung des betroffenenkontrollierten Ansatzes (BkA) durchgeführt. BkA bedeutet die Unterstützung von Betroffenen für Betroffene, um reflektierte Erfahrungen in die Arbeit mit einzubringen und diese gegenüber professionellen Ansätzen aufzuwerten. Etwa zur gleichen Zeit schwappen auch die Konzepte der Community Accountability und der Transformative Justice aus den USA nach Deutschland über.
2007 initiierte die Aktivistin Ann Wiesental die erste Awarenessgruppe, sie gründete mit Aktiven und Gruppen aus der queer-feministischen Bewegung anlässlich des Protestes gegen den G8-Gipfel die “Antisexist Contact- und Awarenessgroup”.
Heute wird Awareness in vielen Bereichen wie Bildung, Aktivismus, Kultur, Politik und Unternehmen angewendet, um ein Bewusstsein für verschiedene Formen der Diskriminierung zu schaffen, Maßnahmen dagegen zu ergreifen und eine inklusive und respektvolle Umgebung zu fördern. Awareness bleibt ein zentraler Bestandteil des Engagements für soziale Gerechtigkeit und Inklusion in der heutigen Gesellschaft.
2. Aufgaben und Grenzen von Awareness
Awareness ist Aufgabe aller Personen vor Ort. Sie werden dabei von einem erkennbar markierten Awareness-Team unterstützt. Das Awareness-Team hat die Aufgabe, Betroffenen von Diskriminierung und persönlichen Grenzüberschreitungen beizustehen und im Interesse dieser Betroffenen Person zu handeln. Es wird aktiv, wenn grenzüberschreitendes oder diskriminierendes Verhalten beobachtet wird, Betroffene sich an das Team wenden, andere darauf hinweisen oder Personen um Hilfe bitten. Das Awareness-Team steht allen Teilnehmenden der Veranstaltung zur Verfügung.
Insgesamt ist das Awareness-Team darauf ausgerichtet, eine unterstützende und sichere Umgebung zu schaffen, in der alle Mitglieder gleichermaßen respektiert und geschützt werden. Es trägt dazu bei, eine Kultur der Achtsamkeit, des Mitgefühls und der Gerechtigkeit zu fördern. Grenzüberschreitendes Verhalten ist eine Sache subjektiver Wahrnehmung der Betroffenen oder von Beobachterinnen. Die Definition darüber, ob grenzüberschreitendes oder diskriminierendes Verhalten vorgefallen ist, liegt ausschließlich bei der betroffenen Person. Jede von Gewalt oder Diskriminierung betroffene Person bestimmt aufgrund ihrer persönlichen Geschichte, Gegenwart und Erfahrung für sich selbst, was sie als grenzüberschreitend wahrnimmt. Nach diesem Grundsatz nimmt das Awareness-Team die Perspektive der Betroffenen ein und schützt sie.
Im Unterschied zu herkömmlichen Security-Teams ist die Hauptaufgabe eines Awareness-Teams nicht, für die Befolgung von Regeln zu sorgen, sondern sich vor allem um die Unterstützung derjenigen zu kümmern, die durch Grenzüberschreitungen Verletzungen erfahren haben. Außerdem klärt das Awareness-Team nicht auf und schlichtet nicht, sondern stellt einen Rückzugsraum und Gesprächspartner*innen zur Verfügung und bespricht Handlungs-möglichkeiten. Ebenfalls ausgeschlossen von den Awareness-Aufgaben ist die Betreuung von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen durch Drogenkonsum. Gleichermaßen handelt es sich beim Awareness-Team nicht um Sanitäter*innen. Es verfügt aber über eine Kontaktliste von Ersthelfer*innen.
3. Unsere Awareness-Struktur
3.1 Awareness-AG und Awareness-Team
Für die Dauer des RAS- Forums vom 19.-22. Juni 2025 und bis zu zwei Wochen danach besteht eine Awareness-AG. Diese besteht aus zwei Personen (Elodie und Sophie).
Die Awareness-AG hat sich vor dem Forum getroffen, um sich gemeinsam auf das Forum vorzubereiten. Diese Vorbereitung umfasste vor allem die Organisation und die Absprache von Vorgehensweisen sowie die Teilnahme an einem Awareness-Workshop. Dabei ist wichtig anzumerken, dass diese keine professionell geschulte Awareness-AG bildet und nur im Zusammenhang mit dem RAS-Forum in Chemnitz als solche agiert. Die Awareness-AG organisiert das Konzept und Schichtsystem und stellt ein Awareness-Team zusammen. Das Awareness-Team sind somit die Personen, die Awareness-Schichten übernehmen. Die Awareness-AG ist in Notfällen jedoch während des Forums erreichbar. Dem Awareness-Team werden die entsprechenden Kontaktdaten zur Verfügung gestellt.
3.2 Leitlinien
Folgende Leitlinien gelten für das Handeln des Awareness-Teams:
- Betroffene ernst nehmen: Betroffene werden als die wahren Expert*innen für ihre eigenen Gefühle ernst genommen. Das Awareness-Team nimmt sie wahr und ernst.
- Respektieren der Wünsche der Betroffenen: Betroffene können sich öffnen, dürfen aber zu nichts gedrängt werden. Schritte werden nur in Abstimmung mit den Betroffenen unternommen. Eine Konfrontation kann nur stattfinden, wenn die betroffene Person dies ausdrücklich wünscht.
- Vertraulichkeit: Fakten werden nur unter Absprache mit der betroffenen Person an andere Personen weitergegeben.
- Grenzen des Awareness-Teams: Das Team kennt die Grenzen seines Zuständig- Für Handlungen, die über diese Grenzen hinausgehen handeln die Schichten in Eigenverantwortung und müssen dabei auf eigene Kapazitäten und Grenzen achten.
- Reflexion: Das Team reflektiert sein Handeln und bereitet es am Ende der Schicht
Erreichbarkeit
Das Awareness-Team ist während der gesamten Veranstaltung für Gesprächsbedarfe am Infopoint oder auf dem Gelände erreichbar. Mit den Anfragenden wird vereinbart, in welchem Rahmen das Gespräch stattfinden soll (z.B. in einem eigenen Raum oder auf einem Spaziergang, mit dem gesamten Team oder einzelnen Mitgliedern).
Rückmeldungen
Wer kein direktes Gespräch suchen möchte oder sich erst nach dem Forum melden will,
kann dies auch per E-Mail tun (awareness@rechtaufstadt-forum.de).
Awareness-Selfcare
Falls Schichten unangenehm werden, kann Kontakt zur Awareness-AG und zur Orga
hergestellt werden. Dazu liegen einsehbare Kontaktlisten am Awarenesspoint bereit. Das
Awareness-Team sollte außerdem zu jedem Zeitpunkt auf seine eigenen Grenzen achten.
3.3 Awareness auf dem RAS Forum
Awareness-Point & Rückzugsort
- Am Infopoint findet ihr während der Veranstaltung immer eine Awareness Person. Außerdem gibt es einen Rückzugsort auf dem Gelände.
- Es werden Wasser und Snacks, sowie eine Decke, eine Liegemöglichkeit, sowie Schmerzmittel zur Verfügung stehen.
Schichtsystem
- Es wird eine Person pro Schicht am Awareness-Point anwesend sein. Diese ist erkennbar an ihre gelbe “Baustellen”-Veste.
- Die Person, die Schichten übernimmt kommt 15 Minuten früher. Die Einweisung vom ersten, dritten, bzw. fünften Schicht am Tag übernimmt die Awareness AG. Im Idealfall gibt es zwischen 1. und 2. Schicht (3. zu 4, 5. zu 6.) eine Übergabe und die vorherige Person machen ein kurzes Briefing.
- Die Einweisung besteht darin:
– Die Schicht wird gebeten, sich das Konzept durchzulesen
– Die Schicht erfährt, wo der Rückzugsort ist
– Die Schicht bekommt ein Rundfunkgerät und eine Warnveste
– Die Schicht wird den Schlüssel für den Rückzugsort überreicht.
Weiterhin werden sie auf die Kontaktliste, das Erste-Hilfe-Set und die Care-Kiste aufmerksam gemacht. Sie werden darüber informiert, wie die Schicht war und ob es Vorkommnisse gab.
- Am Awareness-Point wird ein Logbuch ausliegen, in dem Vorfälle während der Schichten dokumentiert werden. Die Dokumentation findet ebenfalls digital via einen Cryptpad. Die Link zum Cryptpad bekommen nur die Awareness-Schicht und behandeln die Informationen vertraulich.
- Schichtende Personen sollen sich kennenlernen und absprechen und ggf. Nummern miteinander austauschen. Die Handynummer der AG Awareness sind auf einen vertraulichen Ausdruck am Infopoint zu finden.
Präsenz und Erreichbarkeit
- Das Awareness-Team wird auf dem Gelände der Stadtwirtschaft aktiv sein. Es werden Konzepte und Poster verteilt, die auf die Awareness Struktur hinweisen.
- Außerdem gibt es Rundfunkgeräte, über welche die Personen in den Schichten jederzeit erreichbar sind und zwei Telefonnummer der Awareness AG für Rücksprache.
- Eine Liste mit Erste-Hilfe-Kontakten, sowie ein Erste-Hilfe-Kit liegt am Awareness-Point aus. (Anmerkung: Erste- Hilfe ist NICHT Awareness- Aufgabe, Awareness Schichten
können auf keinen Fall Sanis ersetzen.)
- Während Pausen und Essenszeiten wird das Awareness-Team auf dem Gelände herumlaufen und ansprechbar sein. Ansonsten bleibt es hauptsächlich am Awareness-Point.
- Awareness-Materialien zur weiteren Information werden ausliegen.
Party Awareness
- Das Awareness-Team übernimmt nicht die Betreuung von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen durch Drogenkonsum. In diesem Fall werden Angehörige ausfindig gemacht oder je nach Situation in Notfällen der Notruf kontaktiert.
- Die gleichen Materialien, die auch beim Forum zur Verfügung stehen, werden hier ebenfalls verfügbar sein.
- Zusätzlich steht das Awareness-Rundfunkgerät auch während der Party zur Verfügung.
- Personen, die Awareness-Schichten auf der Party übernehmen sind während der
gesamten Schicht nüchtern bzw. zurechnungsfähig.
- Beispiele und Umsetzung
Das Awareness-Team wird aktiv, wenn:
- Eine betroffene Person sich persönlich an das Awareness-Team wendet.
- Eine beobachtende Person sich an das Awareness-Team wendet und eine Situation
- Das Awareness-Team selbst eine Situation beobachtet, in der sie denken, dass eine Person sich unwohl fühlt.
Oder bei sonstigen Fragen von Teilnehmenden zum Thema Awareness.
4.1 Konkrete Schritte im Umgang mit Betroffenen
Wenn eine betroffene Person auf dich zukommt, folge diesen Schritten:
- Situation schildern lassen
- Raum geben: Lass der Person den Raum, ihre Erfahrungen zu verbalisieren. Dränge sie zu nichts, unterbreche nicht und höre aktiv zu.
- Parteilichkeit zeigen: Mache deutlich, dass das Awareness-Team grundsätzlich parteiisch mit den Betroffenen ist.
- Vertraulichkeit garantieren: Versichere der betroffenen Person, dass das Gespräch vertraulich bleibt.
- Fragen, was die Person braucht
- Offene Fragen stellen: Stelle offene Fragen, damit die Person nicht zwischen zwei vorgefertigten Entscheidungen wählen muss.
- Fragen eingrenzen: Wenn die Person unsicher ist, grenze die Fragen nach und nach ein, um ihr bei der Entscheidungsfindung zu helfen.
III. Nach konkreten Dingen fragen
Frage die Person konkret, ob sie eines oder mehrere der folgenden Dinge benötigt:
- Rückzug / Ruhe
- Gespräch
- Ablenkung
- Tee
- Decke
- Schokolade
- Kuscheltier
- Umarmung (wenn es der Schichtperson angenehm ist)
- Anderes Essen
- Weitere spezifische Bedürfnisse
- Möglichkeiten aufzeigen
- Optionen erarbeiten: Zeige der betroffenen Person die offenen Möglichkeiten und erarbeite gemeinsam, welche sich für sie gut anfühlen.
- Entscheidung abgeben: Falls die betroffene Person keine Entscheidung treffen will und diese an das Awareness-Team abgibt, bespreche dich mit anderen Teammitgliedern und treffe eine eigenständige Entscheidung.
- Besprochenes Vorgehen umsetzen
- Umsetzung: Setze das besprochene Vorgehen um.
- Achtung: Sollte die Person ein Veto eingelegt haben, bespreche im Team, ob die übergriffige Person trotzdem gehen muss, um die Sicherheit der restlichen Anwesenden zu gewährleisten (hierbei sollte auch die Orga einbezogen werden).
Weitere wichtige Punkte:
- Eigene Grenzen beachten: Achte auf dich selbst. Fälle, die zu viel für dich sind, musst du nicht alleine annehmen. Kontaktiere in solchen Fällen entweder die Awareness-AG oder die Orga.
- Notfälle weiterleiten: Bei psychiatrischen und medizinischen Notfällen leite an das jeweilige Fachpersonal weiter oder hole dir Hilfe von der Orga. Das Awareness-Team ist weder für Sanitätsdienste noch für psychologische Betreuung ausgebildet.
- Fälle notieren: Notiere die Fälle, um ein Gedankenprotokoll zur Verfügung zu haben.
- Nachbesprechung: Sprecht nach der Schicht gemeinsam über die Erlebnisse und Erfahrungen.